KeyNamM

By Ruwen Rouhs

Published on Jul 5, 2015

Gay

KeYNamM 21-22

KeYNamM

by

Ruwen Rouhs

21 Wiedersehen mit Tinghir

Ikken hing vornüber gebeugt im Sattel und der Schaukelschritt des müden Pferdes drehte ihm fast den Magen um. Mit Mühe drehte er den Kopf und blickte über die Schulter zu Tanan, der hinter ihm ritt. Seinem neuen Freund schien es nicht besser zugehen, als ihm selbst. Auch ihm war der Kopf auf die Brust gesunken und schien zu schlafen. KeYNamM, an der Spitze der kleinen Gruppe über die Steppe zwischen dem Galeriewald am Draa und dem Waldstreifen, der die Grenze zwischen Unland und Grenzland bildete, war schon zwischen den Bäumen verschwunden. Der hat es jetzt gut im Schatten, dachte Ikken, während uns die Mittagssonne noch der Rücken verbrennt.

KeYNamM hatte Ikken noch vor dem Morgengrauen aus den Träumen gerissen. Ikken der eingeklemmt zwischen Hiyya und Tanan geschlafen hatte, konnte sich jetzt nicht mehr an den Traum erinnern, aber der Traum war schön. Hatte er von Yufayyur geträumt? Wahrscheinlich, sonst wäre er nicht so hart gewesen. Da die drei aus Platzmangel Löffelchen gemacht hatten, waren die beiden andern auch aufgewacht, als KeYNamM ihn wachrüttelte, „Wir müssen nach Tinghir, Ikken! Wir reiten sofort, die Pferde sind bereit!“ als Ikken protestiere, entgegnete KeYNamM nur, „Ich brauche Dich dort, ich brauche Deine Hilfe!“ und zog ihn aus dem Bett.

Als Tanan das Wort Tinghir hörte, begann sofort zu betteln, „Nimm mich mit Amestan, bitte Amestan, ich muss in die Stadt, ich muss nach Tinghir, dort bin ich geboren, dort lebt meine Mutter!“ Er hatte diese Bitte ohne einmal Atem zu holen hervorgestoßen und als KeYNamM sie ihm abschlug, begann er zu betteln. „Nimm mich mit! Bitte Amestan! Bitte! Ich muss hin! Ich habe meine Mutter seit mehr als zehn Jahren nicht gesehen! Seit ich drei Jahre alt war!“ Als auch diese Begründung den Amestan nicht überzeugte, fuhr er fort, „Sie hat eine kleine Herberge, dort können wir wohnen, in der Herberge zum „Durstigen Qurbac“, dem Durstigen Kamel_._ Wirklich! Ich schwöre es!“

Erst als Ennand die Aussagen Tanans bestätigte und hinzufügte, „Sie wurde mit zwölf von den Häschern des Imperators entführt, lebte erst in der Hauptstadt und als sie mit Tanan schwanger wurde, durfte sie nach Tinghir ziehen und die Herberge aufmachen.“ Dann seufzte KeYNamMs Freund, „Das durfte sie aber nur, weil sie schwor ihren kleinen Sohn zu ihren Eltern zugeben. Die sind jetzt tot und seither lebt Tanan bei seinen Verwandten, mal da mal dort, mal besser mal schlechter!“

Ikken kannte die Herberge zum Durstigen Kamel. Sie hatte keinen besonders guten Ruf, wie alle Geschäfte, die von ehemaligen Freudenmädchen geführt wurden, aber unter diesen hatte das Durstige Kamel den besten. Ikken kannte auch Tiziri und sie machte ihrem Namen „Hell wie der Mond“ alle Ehre. Ihr Ruf bei den fahrenden Händlern und Bauern, die zum Markt kamen, war gut und zu Jungen wie ihm war sie immer großzügig gewesen. Tirizi hatte ein großes Herz und für ihn stand jetzt schon fest, Tanan hatte das gute Herz von seiner Mutter geerbt. Woher hatte er aber die kecke Art, vielleicht vom Vater?

Ikken konnte vorlaute Jungen eigentlich nicht leiden, aber Tanan hatte er ins Herz geschlossen, wenn auch nicht seit dem ersten Augenblick, aber zumindest seit dem Zusammensein in der Nacht. War es wegen Tanan Art oder war es, weil Yufayyur sich so einen Lehrmeister für ihn gewünscht hatte? Wer weiß? Von Tanan konnte er allerhand lernen, das stand jetzt schon fest, zumindest was Mädchen anging. Ikken war daher mit Tanan als Begleiter einverstanden, auch wenn ihm KeYNamM immer noch nicht verraten hatte, warum sie nach Tinghir reiten mussten.

Als sie endlich den Waldstreifen durchquert hatten, war es früher Nachmittag und noch viel zu heiß zum weiter reiten. Also legten die drei eine Rast im Schatten eines Argahnbaums ein. Von dem Rastplatz am Waldrand konnten sie die Ebene bis hin zu den Bergen überblicken. Ikken erinnerte sich. Im Norden lag die Kristallmine, dann kamen die leicht bewaldeten Hänge des Jbel Sarhro und weiter im Süden musste Tinghir liegen. Während Ikken noch versuchte die ersten Zeichen seiner Geburtsstadt in der flimmernden Luft zu entdecken, hatten KeYNamM und Tanan schon die Pferde gefüttert und getränkt. Jetzt stärkten sie sich jetzt im Schatten mit Fladenbrot und Bratenresten des vergangenen Abends.

Ikken hatte auch Hunger, aber keine Lust zu essen, sondern trank nur Wasser, um den Flüssigkeitsverlust durch den Ritt in der Hitze auszugleichen. Müde vom Ritt von der Quelle der Meryem zu Ennands Hof, der Anstrengung mit Hiyya und Tanan in der Nacht zuvor und dem langen Ritt am heutigen Vormittag heute schlief er sofort ein. Als Tanan seinen neuen Freund schlafen sah, konnte er auch nicht anders. Er kuschelte sich an Ikken, legte seinen Kopf auf dessen Mitte und ebenfalls schlief sofort tief. KeYNamM setzte sich neben den Beiden nieder und lehnte sich an den Stamm des Argahnbaums und dämmerte ein.

Als KeYNamM am Spätnachmittag aufwachte hatte er zum ersten Mal Zeit Tanan in Ruhe anzusehen und mit Ikken zu vergleichen. Er schätzte Tanan nur ein paar Fingerbreit kleiner als Ikken, aber er war kräftiger, bulliger und KeYNamM staunte über seine kräftigen Oberarme. Sein rundliches Gesicht, von dunklen Kraushaaren eingerahmt, strahlte selbst im Schaf Kraft und Zuversicht. KeYNamM fühlte sich zu Tanan hingezogen, aber auf völlig andere Art als zu Ikken und Aylal. Schon als er die beiden zum ersten Mal im Quellkeller von Tinghir sah, dachte er, das sind meine Söhne. Mit Tanan war das anders. Er fühlte sich zu ihm hingezogen, hatte jedoch keine väterlichen Gefühle für ihn.

Als sich eine Fliege auf Tanans Nase setzte, scheuchte KeYNamM sie mit der Hand weg. Der schwache Luftzug weckte Tanan auf. Er öffnete langsam die Augen. Die Iris war dunkel, fast so schwarz wie die Pupille. Die Öffnung zu Tanans Seele war so dunkel, dachte er. Was steckt dahinter?

Der Junge fing KeYNamMs Hand noch in der Luft, zog sie zu seinem Gesicht und streichelte damit seine Wange. „Magst Du mich Amestan? Ich mag Dich, ich mag Dich weil DU Du bist und Ikken dein Sohn. Du weißt was Du willst. Du musst es uns sagen, mir und Ikken. Wir helfen Dir.“

Ikken war inzwischen auch aufgewacht. Noch im Liegen wollte er wissen, „Warum sollen wir Dich nach Tinghir begleiten? Du hast bisher immer gesagt, das sei zu gefährlich für uns, für Aylal, mich und Dich! Der Gouverneur sucht uns immer noch und erst recht wird er uns suchen, weil der Feldzug gegen die Wüstensöhne wegen unserer Hilfe gescheitert ist!“

KeYNamM zögerte und stellte dann eine Gegenfrage, „Hast Du Deinen roten Hut mit, den Tukumbut, der einst König Gaya gehörte?“ Als Ikken nickte und entgegnete „Den habe ich immer dabei!“ fuhr der Amestan fort, „Ein König verteidigt sein Volk, er hat keine Angst, nicht einmal vor dem stärksten Feind. An der Seite Yufayyur hattest Du keine Angst, was solltest Du jetzt Angst haben?“

Als er Ikken so eingeschworen hatte, legte er die Gründe für das Vorhaben dar und entwickelte einen Plan. „Wenn wir den Gouverneur nicht unschädlich machen, dann geht das Morden in Draatal weiter und nicht nur im Draatal, sondern auch im Grenzland und in den Bergen. Wir müssen ihn unschädlich machen, damit die Söldner zurück nach Hause können und die entflohenen Mörder fangen und zur Kristallmine gebracht werden können. Du Ikken kennst die Stadt wie kein anderer. Du hast gezeigt, dass Du mutig bist und einen, den der Gouverneur für den Tod bestimmt hat, befreien kannst. Außerdem weiß ich, dass Du Deinen Vater rächen willst und alle Unschuldigen, die der Gouverneur ermorden ließ.“

Beide, Ikken und Tanan schluckten vor Überraschung. Tanan fasste sich als erster „Was ist meine Aufgabe dabei?“

„Du kannst uns helfen und vielleicht auch Deine Mutter. In der Herberge erfährt sie bestimmt alles in der Stadt geschieht und sie wird zornig werden, wenn sie sieht, dass sie den besten Sohn der Welt nicht heranwachsen sehen konnte.“

Tanan strahlte, „der beste Sohn der Welt“, so hatte ihn noch nie jemand bezeichnet. Doch dann wurde er ernst und verbeugte sich vor Ikken, „Ich wusste nicht, dass Du der Nachfolger des großen Gaya bist, des größten Königs der Wüstensöhne.“ Er zögerte, „Vergib mir, ich habe Dich für einen gehalten wie mich.“ Als ihn Ikken aufrichtete, stammelte er, „Besonders was ich gestern im Bett mit Dir gemacht habe bereue ich jetzt. Bitte verzeih mir mein Prinz!“

Jetzt war es an der Zeit für Ikken laut zu lachen, „Ich kann Dir nicht verzeihen, solang ich mich nicht dafür gerächt habe.“ Dann grinste er ganze Gesicht, „Warte nur Tanan bis wir alleine sind, dann wird Prinz Maya ganz fürchterlich Rache nehmen!“

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Am Spätnachmittag des nächsten Tages sahen sie endlich die Stadtmauern von Tinghir von Ferne. Das endlich galt für beide Jungen, sowohl für Ikken als auch für Tanan, doch aus unterschiedlichen Gründen. Ikken war glücklich bald wieder seine alte Heimat sehen zu können, vielleicht auch seine alten Freunde, aber ihm war bewusst, dass dies erst dann möglich sein würde, wenn ihr Vorhaben geglückt war. Tanan war mehr gespannt als glücklich. Er sehnte sich nach seiner Mutter, konnte sich aber kaum an sie erinnern. „Wird meine Mutter glücklich sein, wenn ich plötzlich vor ihr stehe?“ fragte er Ikken, „Wird sie mich überhaupt erkennen. Damals war ich klein und jetzt? Will sie mich überhaupt sehen?“ der Gedanke ließ ihn nicht los. „Überhaupt! Weiß sie wie ich aussehe? Vielleicht denkt sie ich bin noch ein kleiner Junge! Wahrscheinlich bin ich fast schon so groß wie sie oder noch größer als sie!“

Tanan wiederholte sich immer und immer wieder bis KeYNamM ihn beruhigte, „Nimm es wie es kommt! Aber ich wette, sie wird glücklich sein. Deine Mutter wird Dich in den Arm nehmen und dich niemals mehr weglassen wollen!“ Dieser Gedanke wiederum gefiel Ikken nicht all zu sehr. Er wollte nicht schon wieder ohne Freund sein und außerdem, wie konnte er sich „rächen“, wenn Tanan von Tirizi ganz in Beschlag gelegt würde. Als er sich die Art ausmalte, wie er sich an Tanan rächen wollte, wurde er ganz zappelig vor Ungeduld. „Heute Abend wissen wir mehr. Aber jetzt Tanan, schau! Die Stadtmauer!“

Als KeYNamM zum Stadttor abbiegen wollte, protestierte Ikken. “Zuerst müssen wir nachsehen, ob mein Versteck in der Stadtmauer noch existiert. Die Hütte davor soll abgebrannt sein!“ Auf Tanans Nachfrage erklärte er ihm das Geheimnis seiner Behausung. „Wir können sie als Fluchtweg aus der Stadt benutzte, wenn unser Vorhaben schief geht!“

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Gemeinsam mit Tanan räumte Ikken den Reisighaufen vor den Ausgang des Verstecks weg. Dabei scheuchten sie Vögel aus ihren Nestern, die in seiner Abwesenheit die Reisighaufen in Besitz genommen hatten. „Ein gutes Zeichen!“ bemerkte KeYNamM, der aufpasste, dass niemand die Aktivität der beiden bemerkte. Auch der enge Durchgang zur Wohnkammer schien intakt. Ikken kroch sich als erster hinein, gefolgt von Tanan. An der Klappe zur Wohnkammer hielt er einen Augenblick inne und lauschte auf Geräusche vom Soukh. Nichts war zu hören, als das Schimpfen der Spatzen vor der Stadtmauer. Nicht als das leise Atmen von Tanan, der inzwischen zu ihm aufgeschlossen hatte.

Für Tanan war dieser Ausflug ins Dunkle keine ernste Sache, sondern eher ein Abenteuerspiel. Als er in dem dunklen Schlauch aus Versehen mit dem Kopf auf Ikkens hochgereckten Po stieß, stecke er schnell seine Nase in die Ritze zwischen dessen Pobacken, „Iii Ikken, hier riecht es seltsam. Hast Du Deinen Po seit Vorgestern dort nicht gewaschen?“ Als Ikken ihn „Spinner!“ nannte, kicherte Tanan, „Aber ich mag den Geruch! Ich kann nicht genug davon kriegen!“ und er begann vernehmlich an Ikkens Pospalte zu schnuppern. Tanans Bemerkung löste Ikkens Spannung. Er wiederholte, „Spinner!“ und stieß dann die Klappe zur Wohnkammer auf.

Durch einen schmalen Spalt nahe der Decke fiel Licht in Ikkens ehemalige Wohnhöhle, die mit sonst nur durch einen Vorhang hinter einem Regal vom Verkaufsstand abgetrennt gewesen war. Jetzt war ihr Eingang mit Bretten unordentlich zugenagelt und das Licht, dass durch den Spalt fiel, tauchte den Raum in Dämmerlicht. Nichts hatte sich verändert. Auf dem Schlafplatz lagen die unordentlich hingeworfenen Decken, genau so, wie sie Ikken und Aylal bei der Flucht zurückgelassen hatte. Auf den Borden an der Wand neben den Bett standen noch die verschlossen Behälter. Als er einen öffnete, roch das Gewürz darin noch frisch wie am ersten Tag.

Alles war so wie Ikken den Raum verlassen hatte, nur die Laterne fehlte. Aber die hatten sie ja bei der Flucht mitgenommen. Ikken setzte sich einen Moment hin und erinnerte sich an die Jahre, die er hier mit Aylal verbracht hatte. Dann versuchte er und Tanan die Bretter, die den Eingang versperrten, zu lockern. Vergebens. Wahrscheinlich lag noch der Brandschutt vor dem Eingang.

Sie krochen zurück. Vom Ausgang signalisierte Ikken KeYNamM, der in einiger Entfernung Wache hielt, dass in der Wohlkammer alles in Ordnung war. Dann räumten Ikken und Tanan das Reisig wieder vor den Eingang und ritten dann gemeinsam mit dem Amestan zum Westtor der Stadt.

Alle drei hatten sich wie Bauern aus dem Grenzland gekleidet und fielen daher auf dem ganzen Weg vom Draa zur Stadt niemanden auf. Nur die kleinen schnellen Pferde hätten Verdacht erregen können, da Bauern solche grazilen Tiere gewöhnlich nicht besaßen. Sie hatten Glück. Jetzt am Vorabend hatten sich die müden Torwächter in die Kühle des Wachhauses zurückgezogen und nicht einer bemerkte, dass drei Fremde in die Stadt einritten. Da Ikken, der wusste, dass das die Herberge zum Durstigen Kamel beim Westtor lag, ritt er den anderen durch engen, fast leeren Gassen voraus.

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Das Tor zur Herberge zum Durstigen Kamel stand eine spaltbreit offen. KeYNamM drückt es auf und die drei Besucher ritten in den viereckigen Innenhof. Die Herberge war ähnlich wie eine Karawanserei gebaut. Links war die große Wirtsstube, an die sich einige Wohlräume anschlossen. Die Rückseite beherbergte Ställe und Futterkammern und rechts des Tores lagen die Räume, in denen Gäste übernachten konnten. KeYNamM klopfte an die Wirtsstube und als niemand antwortete, stellten sie die Pferde in einen offenen Stall und ruhten sich auf Strohbündel aus, die dort lagen.

Nach Anbruch der Dunkelheit trafen nacheinander weitere Gäste ein und da weder von der Herbergswirtin, also von Tanans Mutter Tiziri, noch von ihren Helfern etwas zu sehen war, stellten auch sie ihre Pferde im Stall unter. Einer, der wohl hier öfters zu Gast war, kannte das Versteck der Schlüssel, öffnete die Gästekammern und holte dann aus der Wirtsstube gekühlten Tee, von dem sich jeder frei bedienen konnte.

Während die anderen Gäste begannen, sich im Hof im Schein von schnell entzündeten Fackeln mit Brettspielen die Zeit zu vertrieben, wurde Tanan immer unruhiger. Als er den kurzen Weg zwischen Stall und den Eingangstor schon vier Dutzend Mal hin und her getigert war, sprach ihn ein weißhaariger Mann an, „Du da, auf was wartest Du? Kannst Du nicht erwarten, dass Tirizi mit ihren Mädchen zurückkommt? Bist so nervös, weil Du deine Unschuld noch nicht verloren hast?“ dann lachte er, „Die Jugend will doch immer das Eine. Das kannst Du heute Nacht bestimmt noch haben, auch wenn die Mädchen heute alle traurig sind.“

Als Tanan hilflos mit hängenden Armen vor dem Alten stehen blieb, mischte sich KeYNamM ein, der die Fragen unpassend fand. „Was ist los Alter, kannst Du den meinen Sohn nicht in Ruhe lassen. Siehst Du nicht wie nervös er ist? Er ist nicht wegen der Mädchen hier, bestimmt nicht.“

„Warum dann Bauer? Aber Du hast Recht, an so einem Tag sollte man eigentlich nicht fröhlich sein. Die Mädchen haben nämlich ihre ermordete Freundin zu Grabe getragen!“ Als KeYNamM sichtlich erschrak, fügte der Alte hinzu, „Die ist nicht hier ermordet worden, hier ist es sicher. Jemand hat sie in der Stadt abgepasst, entführt, missbraucht und dann tot vor die Stadtmauer geworfen. Aber sei unbesorgt, die Polizei fahndet schon nach dem Mörder und der neue Ankläger wird dafür sorgen, das alle Mittel zur Verfügung stehen, die zu einer erfolgreichen Suche notwendig sind.“

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22 Trauer und Freude

Erst als die Sterne schon am Himmel schimmerten, kamen Tirizi und ihre Mädchen durchs Tor. Sie alle waren in lange schattenblaue Umhänge gehüllt, hatten die Haare mit Spitzentüchern bedeckt und der Klang ihre schweren silbernen Halsketten begleitete ihre Schritte. Tirizi, die die Gruppe anführte, blieb mitten im Hof stehen, „Gäste! Heute ist ein trauriger Tag. Wir haben eine Rosenknospe zu Grabe getragen, Tadla, meine jüngste Tochter. Sie zählte noch nicht einmal vierzehn Jahre! Sie wurde vom Baum des Lebens geschnitten, sie ist verwelkt, sie niemals mehr Aufblühen! Euch meine Freunde und Euch Fremde,“ dabei sah sie zu KeYNamM hinüber, „lade ich ein unserer Rosenknospe mit einer kleinen Feier zu gedenken, eine Feier wie Tadla sie liebte!“ Damit öffnete die Wirtsstube und lud alle ein, einzutreten.

Tanan hatte sich gewünscht, dass ihn seine Mutter sofort erkennen und in die Arme schließen würde. Er hatte er sich getäuscht, natürlich. Woher sollte sie auch wissen, dass der junge Mann am Tisch in einer dunklen Ecke ihr Tanan war? Tirizi und ihre Mädchen machten sich daher zunächst mit den anderen, Gästen zu schaffen. Sie beluden Tische mit Speisen und Getränke, um jeden der Anwesenden zu Ehren Tadlas Tod wie einen König zu bewirten.

Erst spät wurde Tirizi auf den Fremden aufmerksam, der mit seinen jungen Begleitern von seinem Tisch im Halbdunkel die Geschehnisse im Gastraum unruhig beobachtete. Unruhig waren nicht KeYNamM oder Ikken, jedoch Tanan. „Fremder“ begrüßte Tirizi die Drei, „sicher haben Du und Deine prächtigen Söhne schon von dem Unglück gehört, dass unsere Rosenknospe getroffen hat. Seid willkommen, Ihr Tod darf uns nicht vom Leben abhalten.“ sie schwieg einen Augenblick, dann neigte sie kurz ihr Haupt, „Mein Name ist Tirizi, „Hell wie der Mond“ heiße ich, aber heute ist meine Seele verdunkelt! Aber wie heißt Du Herr, ein Herr bist Du wohl, obwohl Du dich als Bauer verkleidet hast!“ KeYNamM schaute zu ihr auf, „Ich habe keinen Namen und alle nennen mich daher „KeYNamM“, der, der ohne Namen ist, aber die beiden haben einen Namen. Dies ist Ikken, der Sohn König Gayas des Vorfahren aller Wüstensöhne.“ Dann forderte er Tanan mit einer Geste auf sich zu erheben. „Den solltest Du jedoch kennen, Tirizi!“ Sie musterte Tanan verwundert und zuckte mit den Schultern. „Er wird Tanan genannt. Erinnerst Du Dich an den Namen Tanan? Erinnerst Du Dich an einen Tanan? Erinnere Dich und deine Seele wird nicht mehr trauern!“ Tirizi schloss die Augen, um das Rätsel zu lösen und wurde daher von KeYNamMs nächsten Worten mehr als überrascht, „Es ist Tanan, dein Sohn Tanan. Er wartet der schon mehr als zehn Jahre darauf wartet, dass Du ihn in die Arme schließt!“ Als Tirizi die Augen aufriss und den jungen Mann vor ihr unsicher von Kopf bis Fuß musterte, fügte er hinzu, „Erkennst Du nicht Deinen Sohn? Deinen Tanan!“

Plötzlich ergoss sich ein Strom von Tränen aus Tirizis Augen. Sie breitet ihre Arme aus und fiel Tanan um den Hals. Sie war wirklich klein, kleiner als Tanan. Da stand der junge Mann nun, hielt seine Mutter in den Armen und wusste nicht was er als nächstes tun sollte, vor Freude lachen oder vor Rührung weinen. Tanan entschied sich für ersteres. Er lachte, sein Gesicht begann zu strahlen, er hob seine Mutter hoch, wirbelte sie im Kreis und als ihm schwindlig wurde, plumpste er in den nächsten Stuhl, seine Mutter noch immer in den Armen.

Tirizi fasste sich endlich. Küsste Tanan auf die Stirn und dankte dann KeYNamM, „Hast Du bewirkt, dass wir uns endlich wieder sehen, Fremder. Hast Du bewirkt, dass er mich endlich besucht, obwohl ich mich solange nicht um ihn gekümmert habe? Ich habe ihn nie vergessen, aber fürchtete ich, dass er mich nicht sehen will. Aber das war es nicht allein. Ich fürchtete dass er mich ablehnt, weil ich so ein Haus führe, weil ich diese Vergangenheit habe.“

„Tanan ist ein großartiger Junge, frage Ikken meinen Sohn, die beiden brauchten nur einen Tag, um gute Freunde zu werden. Frag die Menschen in Deiner Heimat am Draa, die halten alle große Stücke auf Tanan.“

Da nahm Tirizi Ikkens Hand. „Ihr seid Freunde?“ sie wartete nicht auf seine Antwort, „Ihr seid Freunde? Ich sehe es! Ihr ergänzt euch wie Sonne und Mond, wie Sommer und Winter, das sehe ich. Ich danke Dir.“

Tirizi war plötzlich vollständig verändert! Sie strahlte mit Tränen in den Augen, kletterte auf den nächsten Tisch, klatschte in die Hände, um sich verständlich zu machen „Gäste! Heute ist wahrlich ein trauriger Tag. Wir haben eine Rosenknospe zu Grabe getragen. Sie wurde vom Zweig geschnitten und wird niemals Aufblühen!“ wiederholte sie ihre Wort von vorhin, „Heute ist aber auch ein freudiger Tag, der freudigste meines Lebens. Hier!“ sie zeigte auf Tanan, zog ihn zu sich auf den Tisch hinauf, „Stell Dich neben mich, stell Dich neben Deine Mutter.“ Jetzt strahlte sie, wie nur eine Mutter strahlen konnte, „Hier, das ist Tanan mein Sohn, den ich so lange vermissen musste!“ Sie schaute zu ihm auf, denn er war mindestens einen halben Kopf größer als sie, „Hier, seht ihr den schönsten und besten Sohn, den eine Mutter haben kann! Er hat mich gesucht und gefunden. Nicht ich habe ihn gesucht, er hat mich gesucht! Er liebt mich, er liebt mich wirklich!“ Sie strahlte noch einmal in die Runde, „Feiert Freunde, seid heute meine Gäste! Feiert mit uns! Feiert, denn so ein Tag kehrt nicht sooft zurück, ein Tag an dem Trauen und Freude so nahe beieinander liegen!“

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Die Feier war zu Ende. Tanan und Ikken hatten sich zurückgezogen und schliefen schon, als KeYNamM sich die Zeit nahm, die Herbergsmutter des „Durstigen Kamels“ die kritische Frage stellte, „Tirizi, warum hast Du Tanan als Kleinkind weg gegeben? Du liebst ihn doch!“

„Damals!“ seufzte sie, „Damals, konnte ich nicht anders. Wenn ich ihn nicht bei meinen Eltern in Sicherheit gebracht hätte, wäre er jetzt tot. Das Todesurteil stand schon fest und Schergen warteten an der Tür!“

„Wer kann so grausam sein, ein Kind ermorden zu wollen?.... Wer?“ bohrte er nach, als sie schwieg.

„Wer, wer hat die Macht in dieser Stadt? Wer hat die Macht Menschen ungesühnt zu töten? Wer hat Rosenknospe getötet? Wer diesen Namen in Zusammenhang mit dem Nord an Tadla bringt, bringt sich selbst in Gefahr! Ich schweige!“ Dann nach einen Moment des Nachdenkens, „Es ist besser Du nimmst Tanan wieder mit. Weiß ich ob das Urteil von damals noch aufrechterhalten ist?“

Als KeYNamM in das Zimmer ging, indem Ikken und Tanan eng aneinander gedrückt schliefen, wusste er, der Gouverneur muss sterben, je früher, desto besser!

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In aller Früh am nächsten Morgen wurde an das verschlossen Tor der Herberge zum Durstigen Kamel gehämmert. Tirizi, ihre Mädchen, ihr Hausdiener und die Gäste der Herberge zum Durstigen Kamel wurden durch Poltern aus dem Schlaf gerissen. Bevor der Hausdiener noch am Tor war, spähte Tirizi schon durch ein geheimes Guckloch nach draußen. Sie war besorgt. Im Traum hatte sie Tanan im Haus des Gouverneurs gesehen. Ihr Sohn stand vor ihm und hielt etwas Blinkendes in der rechten Hand. Sie glaubte an Vorahnungen. Was hatte Tanan im Haus des Gouverneurs zu schaffen?

Durch das Guckloch sah sie zwei Polizisten. Sie erschrak, kamen sie, um Tanan abzuholen? Hatte sich seine Ankunft schon bis zum Gouverneur herumgesprochen? Dann wurde sie jedoch ruhiger. Die beiden Männer waren nicht Angehörige der Häschertruppe des Gouverneurs, sondern der Kleidung nach Stadtpolizisten. In ihrer Mitte stand ein junger Mann. Er hatte zwar noch nie ihre Herberge besucht, sie erkannte ihn jedoch. Es war Ankläger Anir, der junge Staatsanwalt der Stadt. Sie hatte bisher nur gutes von ihm gehört. Wenn der dabei war, ging wohl um den Mord an Tadla, schloss sie und nicht um ihren Sohn.

Der Hausdiener öffnete das Tor. Tirizi lief in den Hof, hieß die frühen Gäste willkommen und bat sie in die Gaststube. Während die beiden Polizisten am Eingang zur Gaststube Aufstellung nahmen, kam der Ankläger mit hinein und da der geräumige Raum noch unaufgeräumt war, bat sie ihn in ihre eigene kleine Wohnstube.

„Was verschafft mir die Ehre, Herr Staatsanwalt? So früh? Wir haben gestern Abend Abschied von Rosenknospe genommen. So jung und schon aus dem Leben gerissen! Sie war meine liebste Tochter!“

„Ja, die Polizisten kannten sie. Sie beschworen, dass Tadla wirklich so jung und schön war wie Du sagst Tirizi, dazu wohlerzogen, scheu und zuverlässig. Sie soll hier nur gearbeitet haben, um ihre alten Eltern im Grenzland zu unterstützen!“ Tirizi fiel ein Stein vom Herzen. Es ging nicht um Tanan, sondern wirklich um Rosenknospe. Als sie aufseufzte, fuhr Anir fort, „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein so wohlerzogenes Mädchen sich ohne Not in eine Gefahr begibt, die mit ihrem Tod endet. Ich muss die Vorgeschichte wissen, damit ich die Untersuchung mit Aussicht auf Erfolg führen kann.

KeYNamM, der dem Gespräch vom Nebenzimmer aus zugehört hatte, betrat das Wohnzimmer, verbeugt sich leicht vor dem frühen Gast und setzte sich ihm gegenüber neben Tirizi an den Tisch, als gehöre er zur Familie. Das erstaunte Anir, da die gut unterrichteten Polizisten ihm versichert hatten, dass die Herbergsmutter allein lebe. Interessiert begann er KeYNamMs Gesicht zu studieren. Ihm fielen zuerst die wachen Augen des Mannes auf. Sie prüften sein Gesicht so intensiv und gespannt, wie er das seines Gegenübers prüfte. Woher kenne ich ihn, dachte der Ankläger, woher bin ich sicher, dass ich mit dem Mann schon zu tun hatte?

Als Tirizi seinen Namen nannte KeYNamM erinnerte sich augenblicklich. KeYNamM, der Amestan, der König vom Unland war es also! Aber der, der ihm jetzt gegenüber saß, war nicht mehr dessen Tod der Gouverneur unbedingt wollte. Der Mann sah aus, als wäre er aus dem Jungbrunnen gestiegen. Sein war Gesicht glatt, bartlos und sauber, die Haare ordentlich geschnitten, nur kraus vom Schlaf. Aber seine Haltung war genau so wie damals vor dem falschen Schwurgericht. Erst jetzt bemerkte Anir, dass sein Gegenüber ihn auch erkannt hatte, aber er konnte keine Angst in seinen Augen entdecken, nur Wachsamkeit.

Anir war so in Gedanken gewesen, dass er den Gesprächsverlauf nicht gefolgt war. „Was sagtest Du gerade Tirizi? Tadla wollt nur zum Soukh und dort Perlen für eine Kette zu kaufen? Dort bieten viele Händler Glasperlen feil. Weißt Du welchen sie aufsuchte?“

„Ja. Als sie bei Einbruch der Dunkelheit nicht zurück war, habe ich den Diener zum Soukh geschickt. Tadla hat an einem der Stände Perle gekauft und an einem anderen Faden. Beide Händler sahen dann wie sie den Soukh verließ und sich auf den Heimweg machte. Wir suchten den ganzen Rückweg ab und fragten die Anwohner, ob sie Tadla gesehen hätten. Die in den ersten Häusern hatten sie gesehen, aber die in den Häusern zwischen hier und dem steil ansteigenden Weg der zum Plateau hinter der Gouverneursvilla führt nicht mehr.“

„Habt ihr den Weg zum Plateau abgesucht?“

Bevor Tirizi antworten konnte öffnete sich die Tür zum Wohnzimmer erneut. Zwei Jungen standen hintereinander in der Türöffnung. Der vorne, ein kräftige Halbwüchsiger mit dunklen Locken, lächelte Anir mit seinen kohlschwarzen Augen ohne Scheu an, der dahinter, hochgeschossen und mit fast blonden Haaren, richtete seine graublauen Augen kritisch auf ihn. Anir schätzte sie auf vierzehn oder fünfzehn.

Waren es Brüder? Auf den ersten Blick, würde er sie nicht für Geschwister halten. Daher war er erstaunt, als KeYNamM sie mit „Meine Söhne!“ vorstellte, ohne jedoch ihren Namen zu nennen. Die beiden setzten sich an den Tisch, der dunkelhaarige neben Tirizi, der hellhaarige neben den Amestan. Das passt schon besser, dachte der Ankläger, denn der dunkelhaarige ähnelte der Herbergsmutter und der hellhaarige dem Amestan. Der Anblick der beiden, war für ihn der Lichtblick am frühen Morgen, trotz der traurigen Aufgabe, die ihm bevorstand.

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Anir war stolz darauf, das er die Fähigkeit entwickelt hatte, den Charakter von Menschen schnell einschätzen zu können und den vier ihm gegenüber saßen, fand er keine Falschheit. Folgerichtig wollte er den Amestan gerade fragen, „Sind beide wirklich Deine Söhne oder nicht doch nur der blonde?“ als die Tür von der Wirtsstube zum Wohnzimmer aufflog und einer der Polizisten hereinplatzte. „Der Gouverneur hat einen Boten geschickt. Es ist dringend! Ankläger, Sie sollen schnell zum Gericht kommen, dort wartet ein wichtiger Fall. Der Tod der jungen Nutte ist dagegen Nebensache!“

Tirizi protestierte vehement, „Tadla war kein Freudenmädchen, sie war eine Tänzerin, eine die mit ihren Aufführungen jedermann erfreute.“ Dann wandte sie sich an Anir. „Staatsanwalt, der bestialische Mord an diesem unschuldigen Mädchen muss gerächt werden! Es gibt nichts was wichtiger ist, denn wird eine der Blüten des Landes hingeschlachtet ohne gerächt zu werden, dann ist keine Rosenknospen in unserem Land mehr sicher!“ Sie schluckte einen Augenblick, „Staatsanwalt, Ankläger Anir! Suche den Mörder! Es sind in dieser Stadt schon zu viele Rosen geköpft worden, ohne dass je ihr Mörder dingfest gemacht wurde!“

Auch KeYNamM starrte wütend auf den Ankläger und stieß dann hervor, „Sag Ankläger, frag den Vertreter des Imperators, frag ihn! Deckt er den Mörder oder hat die Mädchen selbst sie hingeschlachtet und über die Stadtmauer den wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen? Und auch die Knaben? Seine Vorliebe für unschuldige Mädchen und kleine Jungen sind in der ganzen Stadt bekannt. Auch Dir sollten inzwischen die Gerüchte über geschändete Mädchen und hingeschlachtete Jungen nicht verborgen geblieben sein!“

„Was unterstellst Du mir, Amestan! Was unterstellst Du dem Gouverneur? Warum bist Du eigentlich nach Tinghir gekommen? Du weißt, ich könnte Dich sofort festnehmen lassen, denn Du wirst immer noch gesucht.“ dann schwieg er kurz, „Was den Gouverneur angeht, so fehlen Dir Beweise! Ohne Beweise kann niemand angeklagt und verurteilt werden!“

„Mit diesen Worten gibst Du selbst zu, dass Du einen ähnlichen Verdacht hegst!“ Da Anir schwieg, fuhr der Amestan fort, „Du brauchst nicht zu antworten. Ich weiß, Du wirst Dein Bestes tun. Du wirst den Mörder von Tadla überführen! Du wirst den Mörder all der Mädchen und Jungen finden, die geschändet und tot am Fuß der Stadtmauer gefunden wurden, dessen bin ich sicher. Hast Du überlegt, warum die Leichen immer an einer Stelle über die Stadtmauer geworfen wurden, die von der Gouverneursvilla ungesehen erreicht werden kann.“

Tirizi ergänzte, „Falls Du das nicht weißt Ankläger, Tadlas Leiche war nicht die erste, die dort gefunden wurde. Frag Deine Polizisten, frag den Stadthauptmann! Schon zehn oder zwölf geschändete Körper sind an dieser Stelle aufgefunden worden.“

Als der Polizist zum zweiten Mal den Kopf durch den Türspalt steckte, verabschiedete der Ankläger Anir sich mit den Worten, „Wir sehen uns wieder!“ Dann wandte er sich an die beiden Jungen, machte ein besorgtes Gesicht, „Seid vorsichtig, ihr habt das Leben noch vor euch!“

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Die ganzen Tag schwirrten Gerüchte über den Mord an Tadla durch Tinghir. Alle fragten sich, „Warum wurde gerade sie ermordet?“ Bigotte Frauen fragten: „War es ihr Lebenswandel? Was musste sie als Tänzerin auch die Männer aufreizen?“ Unvoreingenommene oder solche, die Tadla gut kannten, fragten „War es ihre Schönheit? War es ihre Freundlichkeit? Ihr entgegenkommendes Wesen? Ihre Gutgläubigkeit?“ Andere wiederum, „War sie ein Zufallsopfer?“ Alle aber, Böswillige, Unvoreingenommene, Freunde sogar völlig Fremde, waren sich einig, das eine Bestie den Mord begannen haben musste, eine Bestie in Menschengestalt und kein böser Geist. Die, die sich erinnern konnten und das waren nicht wenige, fragten: „Treibt ein Serienmörder sein Unwesen in der Stadt?“

KeYNamM versuchte soviel wie möglich über die Morde zu erfahren. Zuerst wandte er sich an Tirizi. Die rief nacheinander ihren Hausdiener und zwei ihrer langjährigen Töchter ins Wohnzimmer, schon immer in Tinghir lebten. Sie berichteten, an was sie sich erinnern konnten und Tirizi versuchte das Bild zu vervollständigen. Bald war der Amestan in der Lage sich ein ziemlich genaues Bild von den verschiedenen Morden zu machen. Dabei zeigte sich, dass eine Vielzahl der unaufgeklärten Morde wiesen deutlich Ähnlichkeiten mit dem Mord an Tadla auf.

Für eine Mordserie sprachen ihre Verletzungen der Opfer, die Uhrzeit, an dem die Leichen entdeckt worden waren, der Fundort der Leichen am Fuße der Stadtmauer, der nicht mit dem Ort des Mordens identisch sein konnte. Alle, auch Tadla, mussten in der Stadt, wahrscheinlich in einem Gebäude, ermordet, dann zur Stadtmauer geschafft und über die Mauer geworfen worden sein.

In der Nähe des Fundortes von Tadlas Leiche waren in den letzte zehn Jahren mindestens Zehn, vielleicht auch zwölf Ermordete gefunden worden. Über die Zahl waren sich Tirizi und ihre Angestellten nicht ganz einig. „Nur der Stadthauptmann und der Staatsanwalt würden genau wissen wie viele, denn sie führten Buch.“ meinten sie.

Aber nicht nur das sprach für eine Mordserie. Alle Ermordeten waren sehr, sehr junge Mädchen oder Jungen. Alle stammten nicht aus der Stadt, sondern kamen von außerhalb und hatten nur kurz in Tinghir gelebt. Die meisten stammten entweder aus dem Grenzland oder dem Unland, was an ihren hellen Haaren auf den ersten Blick zu erkennen war.

Was sprach darüber hinaus noch für eine Mordserie? Alle waren vor ihren Tod auf ähnliche Weise bestialisch gemartert und verstümmelt worden. Zuerst wollten weder Tirizi noch die anderen über die Verstümmlungen sprechen, aber dann brach es aus ihnen heraus. „Wie bei Tadla hatte der Mörder seinen Opfern die Brüste abgeschnitten und den Bauch von der Scheide bis zum Nabel aufgeschlitzt, sodass das Gedärm heraus quoll. Allen hatte er die Kehle durchschnitten.“ Als Tirizi dies schluchzend berichtete, liefen ihr die Tränen über die Wangen und sie stöhnte, „Ich bete zu Gott, dass der Sadist ihnen zuerst die Kehle durchgeschnitten und sie erst dann verstümmelt hat.“

„Und den kleinen Jungen, wie waren sie verstümmelt?“ wollte KeYNamM wissen. Voll Abscheu stöhnte der alte Diener, „Die Jungen? Keiner von Ihnen war über zehn, bestimmt nicht! Unschuldige Kinder!“ er schüttelte den voll Abscheu den Kopf, „Immer hatte das Monster ihnen den Penis abgeschnitten und die Hoden! Immer hatte das Monster ihnen einen ein spitzen Holzpfahl in den After gerammt,“ KeYNamM sah einen erschütterte Mann, „und oftmals fehlten auch ihre Ohren und ihre Nase.“

Da KeYNamM genau wissen wollte, wer in der Nähe des Fundortes wohnte, erklärte ihm Tirizi die Örtlichkeiten. „Die Stelle, an der die Ermordeten über die Mauer geworfen wurden, liegt etwa gegenüber dem Brunnenhaus. Unterhalb des Brunnenhauses beginnt die eigentliche Stadt, oberhalb liegt nur das Stadthaus, das auch der Amtssitz des Gouverneurs ist, das Gerichtsgebäude und Gefängnis. Dort beginnt auch der Weg hinauf zum Berg über der Stadt. Er führt an drei Häusern vorbei zur Villa des Gouverneurs und weiter hinauf.“

„Und hat die Polizei diese Häuser durchsucht, auch das des Gouverneurs?“

„In den drei Häusern wurden nie Spuren, die von den Morden stammen könnten.“

„Und das Stadthaus mit dem Gerichtsgebäude, dessen Zellen oder dem Gouverneursvilla. Wurden die durchsucht?“

„Von denen war nie die Rede. Die Polizei durfte das wohl nicht!“

Jetzt machte sich eines der Mädchen bemerkbar, die bisher meist stumm dabei gesessen hatten, „Ich will ja nichts Unwahres in die Welt setzen, aber Gouverneur hat seltsame Vorlieben. Manche meiner Schwestern kam schon von einer Nacht mit dem Gouverneur zurück und zeigten mir ihre blauen Flecke, ihre Schnittwunden und Verletzungen. Anstatt mit ihm seine Spaß zu haben, wurden sie vom Gouverneur gefesselt, gewürgt, geschlagen. Wer einmal zu ihm eingeladen worden war, hat keine zweite Einladung angenommen. Der Gouverneur ist ein Sadist!“

Im Laufe der Besprechung erfuhr KeYNamM von den beiden Mädchen ziemlich genau, wie es in der Gouverneursvilla aussah. Im Unterstock wohnten nur die alten Dienerinnen des Gouverneurs. Die ältere, Lalla, seine ehemalige Amme, war fast taub aber scharfäugig. Ihre jüngere Schwester, Kella, war halbblind, hatte dafür ein Gehör wie eine Maus. Beide waren scharfzüngig und gemein. Sie bissen jede andere Dienerin, die Gouverneur einzustellen versuchte, aus dem Haus. Sie waren ihm voll ergeben und beschützten ihn wie eine Glucke ihre Küken. Im Gegenzug der Gouverneur ließ nichts auf die beiden kommen.

Im Oberstock mit den Ausgang zum Garten, lagen nach vorn zum Pfad hin, neben einigen Arbeitsräume, ein repräsentativer Prachtraum, indem der Gouverneur Hof halten und Gäste empfangen konnte. In der rückwärtigen Hälfte des Hauses, also zur Bergwand hin, schien nur der riesige Schlafraum des Gouverneurs zu liegen. Dieser Raum war immer kühl und bekam sein Licht durch kleine Luken hoch oben in der Wand zum Garten. Dieser Raum wäre besser ausgestattet als selbst der Schlafraum des Imperators, berichteten die Mädchen.

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Mit dieser Information vor seinem geistigen Auge, überlegte KeYNamM, wie er am unauffälligsten an den Gouverneur herankommen konnte, um ihn unschädlich zu machen. Ein Eindringen durch die Haustüre war kaum möglich, da zum einen die Polizei in unregelmäßigen Abständen vor dem Haus patrouillierte und zum anderen ein Eindringen durch die Tür von den beiden Schwestern bemerkt werden konnte, besonders dann, wenn jemand die Treppe zum Oberstock hochstieg. Es blieb nur der Weg durch den Garten. Zunächst müsste er also unbemerkt in den Garten eindringen. Er konnte natürlich nicht das Gartentor nehmen, sondern müsste sich von Oben abseilen oder am Ende des Gartens über die Mauer steigen. Dafür benötigte er auf jeden Fall die Hilfe von Ikken, der die Stadt wie seine Hosentaschen kannte. Dann musste er vom Garten her in das Haus eindringen und sich im Dunklen bis zur Tür des Schlafraumes des Gouverneurs vortasten. Alles musste lautlos geschehen. Und was dann?

KeYNamMs ursprünglicher Plan war gewesen, den Gouverneur in aller Öffentlichkeit zur Rede zustellen, ihn anklagen, ihn die Rechtsverletzungen und Morde vorzuwerfen, ihn so in die Enge zutreiben, dass ihm nichts anderes bliebe als seine Schuld einzugestehen. KeYNamM wusste, dass dies ein schöner Traum war. Nein, er musste den Gouverneur entweder entführen oder wenn das nicht möglich wäre, töten besser für seine Verbrechen hinrichten.

Den Gouverneur zu entführen, um ihm anschließend den Prozess zu machen, erschien KeYNamM kaum möglich. Er stand daher vor der Frage, konnte er, KeYNamM, die Tötung, die Ermordung, die Hinrichtung von Gouverneur Gwasila vor der Öffentlichkeit rechtfertigen, vor allem aber, konnte er sie mit seinem Gewissen vereinbaren?

Lange befragte sich KeYNamM. Dann kam er zum Schluss. Er würde den Gouverneur nicht entführen, er würde ihn an Ort und Stelle töten. Denn des Gouverneurs Tötung war kein Mord, es war eine Hinrichtung. Ja! Eindeutig Ja! Es war die Hinrichtung wegen der vielen, vielen Verbrechen, deren der Gouverneur sich im Laufe der Jahre schuldig gemacht hatte.

KeYNamM resümiert. Gouverneur Gwasila hatte sein Leben verwirkt wegen der schändlichen Morde an den unschuldigen Mädchen und Jungen; er hatte es verwirkt wegen der Hinrichtung von Ikkens und Aylals Vater und ihrer Muhme und der vielen anderen, die er ermorden ließ, weil sie seinen Plänen im Wege standen; er hatte es verwirkt wegen der Kämpfe auf der Himmelsleiter, bei der er zwei Männer gegeneinander hetzte, nur um den Blutrausch des Stadtvolks zu befriedigen; er hatte es verwirkt wegen der Ausbeutung der Strafgefangenen in der Kristallmine und er hatte es verwirkt vor allem wegen der Raubzüge, Vergewaltigungen und Morde, die seine Knechte im Unland in seinem und des Imperators Namen begingen.

KeYNamM war sich im Klaren darüber, dass er den Gouverneur schnell und ohne Erbarmen töten musste. Das Aufdecken der Verbrechen des Gouverneurs, auch des Mordes an Tadla, musste er anderen überlassen, beispielsweise dem Ankläger. Ja, Anir der Ankläger musste die Bestialitäten des Ruchlosen ans Tageslicht bringen und der Öffentlichkeit bekannt machen.

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Authors Note:

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